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Erbmoderation

Die Erbmoderation ist eine sehr junge Disziplin, ganz im Gegensatz zur Erbmediation, die bereits seit Jahrzehnten praktiziert wird. Stark vereinfacht ausgedrückt ergibt sich die Abgrenzung daraus, dass die Erbmediation zur Anwendung gelangen kann, wenn es nach einem Erbfall zu Streit zwischen den am Erbfall Beteiligten kommt, während die Erbmoderation im Vorfeld eines zukünftigen Erbfalles eine Ordnung für den späteren Erbfall herstellt, die die Entstehung eines Konfliktes zwischen den Erbfallbeteiligten verhindert.

Während es bei der Erbmediation um die Bewältigung eines bereits entstandenen Konfliktes zwischen den Hinterbleibenden geht, geht es bei der Erbmoderation darum, die Verhältnisse für einen bevorstehenden Erbfall so zu ordnen, dass alle Erbfallbeteiligten und Hinterbleibenden damit gut umgehen und weiterleben können. Überspitzt formuliert geht es bei der Erbmoderation darum, die Entstehung eines Konfliktes zu verhindern, so dass die Hinterbleibenden gar keine Erbmediation brauchen.

Die Erbmoderation steht damit aber vor einer denkbar schwierigen Ausgangslage, denn sie muss in vielfältiger Hinsicht zukünftige Entwicklungen antizipieren oder zumindest vorherzusehen versuchen. Im Grunde genommen geht es um nichts weniger, als den Versuch zu unternehmen, in die Zukunft, nämlich in die Zeit nach dem eigenen Ableben, zu blicken und die Verhaltensweisen der Hinterbleibenden und ihr Zusammenleben ein möglichst großes Stück weit vorherzusehen. Nur auf der Grundlage entsprechender Erkenntnisse können letztwillige Entscheidungen getroffen, Gestaltungen ersonnen und schlussendlich juristische Texte formuliert werden, die harmonisches Vererben weitestgehend sicherstellen.

Der Blick in die Zukunft – und die Sicht der anderen

Genau darin liegt ein wesentlicher Teil der Kunst der Erbmoderation:

Die althergebrachte Vorstellung des Vererbens, die sowohl in unserer Gesellschaft als auch in vielen anderen Gesellschaften weltweit verbreitet ist, die aber auch dem gesetzlichen Leitbild des deutschen Erbrechtes zu Grunde liegt, ist diejenige, dass der Erblasser diktiert. „Der letzte Wille ist frei“, heißt es mitunter. Dem liegt die Idee zu Grunde, dass der Erblasser wenigstens von Todes wegen machen, entscheiden und verfügen kann, was und wie er will. Das aber passt nicht in unsere Zeit. Unzählige Testamente und sogar Erbverträge werden in der Praxis dadurch völlig obsolet, dass Erbfallbeteiligte sich vor Gerichten streiten und sich über den Nachlass durch Vergleich auseinandersetzen – und dabei (dann im Ergebnis durch die Vermittlung eines Gerichtes einvernehmlich) den letzten Willen des Erblassers völlig außer Acht lassen. Harmonisches Vererben setzt deswegen voraus, dass die Wertvorstellungen, persönlichen Ziele und Wünsche der Hinterbleibenden einbezogen werden in die letztwilligen Verfügungen des zukünftigen Erblassers.

Die anspruchsvolle Aufgabe der Erbmoderation ergibt sich unter anderem daraus, dass der Erbmoderator die sich perspektivisch weiterentwickelnden Wertvorstellungen, persönlichen Ziele und Wünsche der Hinterbleibenden in die Beratung des Erblassers einbeziehen muss. Neutral und von außen betrachtet ist es eine Selbstverständlichkeit, dass ein heute 15jähriger potentieller Erbfallbeteiligter andere Prioritäten hinsichtlich der Gestaltung seiner Erbfallbeteiligung setzen wird als er es in 20 Jahren tun wird, wenn er 35 Jahre alt ist. Die Erbmoderation muss also auch die Zeithorizonte einbeziehen. Der Erbmoderator braucht absolutes persönliches Vertrauen des zukünftigen Erblassers. Er muss nämlich einschätzen können, für wie lange „im Voraus“ die letztwillige Verfügung, die er dem Erblasser vorschlagen wird, gedacht sein muss. Der Erbmoderator wird keine gute „steuernde“, „lenkende“ Regelung vorschlagen können, wenn ihm der 50jährige Unternehmer mit zwei Teenager-Kindern nicht offenbart, dass er schwerwiegende gesundheitliche Probleme hat. Ich kenne Situationen, in denen spätere Erblasser nicht einmal ihrer Familie, geschweige denn ihrem unternehmerischen Umfeld gesundheitliche Probleme offenlegen wollten. Nur einem Anwalt gegenüber, der auch insoweit zur strafbewehrten Berufsverschwiegenheit verpflichtet ist, waren sie unbefangen und deswegen offen.

Der Erbmoderator muss verstehen. In alle Richtungen. Er muss in der Lage sein, Unaussprechliches zur Sprache zu bringen. Auf allen Seiten. Auf Seiten des zukünftigen Erblassers. Auf Seiten der Hinterbleibenden. Und er muss sich selbst offenbaren. Kein Vertrauen gedeiht ohne Gegenseitigkeit. Bin ich selbst distanziert, so werden mich andere Menschen nicht verstehen. Und sich erst recht nicht offenbaren. Ich muss nicht jedermanns Freund sein, aber ich muss „lesbar“, ich muss klar und verlässlich sein. Mit anderen Worten: Ich muss als Persönlichkeit für Werte eintreten. Und wenn der Wert darin besteht, Konflikte vorausschauend zu eliminieren – dann bin ich nicht nur erbmoderierend tätig, sondern im Sinne des antiken Verständnisses ein Erbmoderator.

Unaussprechliches zur Sprache zu bringen – eine hohe Kunst

Unaussprechliches zur Sprache zu bringen – das ist der Schlüssel der Erbmoderation. Hier sind psychologische, soziologische, pädagogische, mitunter sogar theologische und philosophische skills gefragt. Oder einfach schlicht und ergreifend humanistische. Wissen muss ich um die Zeichen, die Beteiligte aussenden. Bewusst oder unbewusst. Verstehen muss ich unausgesprochene Ängste, Sorgen, Wünsche. In Einklang damit zu bringen hat der Erbmoderator– jetzt wieder abrupt rein sachlich gesprochenen – die juristischen Formulierungen des letzten Willens des zukünftigen Erblassers unter maximaler Ausnutzung aller Möglichkeiten für eine allen Beteiligten gerecht werdenden, und deswegen harmonischen Erblösung.

Die Zielsetzung der Erbmoderation

Die Erbmoderation hat ein zentrales Ziel: Harmonisches Vererben. Die Schwierigkeit besteht darin, dass es keine allgemeingültige Formel, keine generelle Blaupause gibt, die man anwenden könnte, um einen zukünftigen Erbfall einer harmonischen Regelung zuzuführen. Kein Erbfall ist wie der andere. Kein Erblasser hat erlebt, erfahren, oder sonst an Prägendem in sich aufgenommen, was ein anderer erlebt hat. Kein Umfeld eines Erblassers ist von Sozialisation, Persönlichkeitsstrukturen und auch Anspruchsdenken her gleich dem eines anderen. Und nicht zuletzt ist auch kein Vermögen, das ein Erblasser erworben, aufgebaut oder lebzeitig wieder verbraucht hat gleich dem eines anderen Erblassers. All diese Einflüsse erfordern es, bei der Abfassung eines auf harmonisches Vererben gerichteten letzten Willens oder erbrechtlicher Verträge bedacht zu werden. Man kann gar nicht früh und häufig genug betonen: Eine ganz bestimmte erbrechtliche Regelung kann im einen Fall die einzig brauchbare zur Verhinderung der Streitentstehung sein, im anderen Fall ist gerade sie diejenige, an der sich der Streit entzündet – und umgekehrt. Im einen Fall sind im Umfeld des potentiellen Erblassers Faktoren vorhanden, die das Risiko der Entstehung von Streit gering erscheinen lassen, was es ermöglicht, differenzierter und in höherem Maße juristisch angreifbar testamentarisch zu verfügen – im anderen Fall muss man als verständiger Erbmoderator trotz einträchtig wirkender Familienidylle auf Grund verborgen liegender Faktoren dringend zu klaren, apodiktischen, juristisch kaum sinnvoll angreifbaren Regelungen greifen. Eines ist klar: Standardmuster von Juristen, die „in solchen Fällen immer“ dies oder das „raten“, sind schon kaum das Geld für die juristische Beratung Wert und erst recht haben sie nichts mit Erbmoderation zu tun.